Mittwoch, 20. April 2016

Eine Chronik (1)

20.4.2016
Später Vormittag, bekomme die erste Spritze: Somatuline Autogel. Autogel? Seltsame Bezeichnung. Vorher kurzes Gespräch mit der Onkologin, Dr. K. Eine zusätzliche Analyse des Rippenfells sei im Moment nicht erforderlich. Gut zu hören, wenigstens das.
Und endlich geschieht etwas, nach vier Monaten Analysen, ersten, vorläufigen, fast definitiven Diagnosen und vielen Ungewissheiten, noch mehr Ängsten.
Ein Raum, aquariumähnlich, mit verstellbaren Ledersesseln. Eine kleine Sitzecke mit Kaffeemaschine und Trinkwasserspender. Die übliche Wartezimmerlektüre, regenbogenfarben, ein Stapel Werbebroschüren von Friseuren und Unternehmen, die „Zweithaar“ anpreisen. Viel Betrieb. Bin seit langem einmal wieder einer der Jüngsten. Die Arzthelferin drückt mir eine Spritze in die Hand. 60 g Lanreotid. Kommt aus dem Kühlschrank, ist eiskalt, soll ich 15 Minuten lang mit den Fingern fest umschließen und gut aufwärmen. Wie das krampfhafte Festhalten an einem Rettungsring.
Danach die Aufforderung, in einem Nebenzimmer zu warten. Alles geht zügig voran. Die blau geschürzte Dame kommt und schließt die Tür hinter sich. Die Nadel sei ziemlich dick, sagt sie. Oberschenkel oder Hüftspeck? – Keine Ahnung! Bin zum ersten Mal hier. – Nun, die meisten Patienten finden, in der Hüfte schmerze es weniger. – Es wird also wehtun? – Ich würde lügen, wenn ich das Gegenteil behauptete. – Also Hüfte.
Ziehe Hemd und Unterhemd aus der Hose, stütze mich auf einem niedrigen Schrank ab.
Und nun tief Luft holen!
Gehorche, atme tief ein, bin auf alles gefasst, schließe die Augen. Kühlendes Spray, Desinfektionsmittel, dann ein Pikser.
Und nun bitte normal weiteratmen.
War’s das schon? Also, mein Zahnarzt verursacht mir schlimmere Schmerzen, wenn er mich bloß anschaut.
Das dauert nun ein paar Minuten. Die Lösung wird langsam unter die Haut gespritzt. Wenn Sie’s nicht mehr aushalten, können wir eine Pause einlegen, sagt die Arzthelferin.
Geht schon. Merke nicht einmal, wie der Wirkstoff sich langsam auszudehnen beginnt. Schließlich ein Pflaster, danke und tschüss. Bis zum nächsten Mal, in vier Wochen.
S. wartet im Flur. Und? – Alles okay!
Wir fahren in die Stadt, in ein zentral gelegenes Parkhaus, mit Oberdeck und freien Plätzen an der frischen Luft. Ein herrlich sonniger Tag, komplett wolkenlos, die erste richtige Frühlingsatmosphäre in diesem Jahr. Licht, Leichtheit, Heiterkeit fast. Endlich. 22 Grad. Wollmütze, Schal und Regenschirm können im Kofferraum bleiben.
Warte ungeduldig, während wir herumspazieren, dass sich etwas regt, die Spritze irgendwelche Wirkungen zeigt. Horche in den Körper hinein, wie seit Wochen. Aber nein. Alles wie immer.
Wir entscheiden uns für ein kleines Mittagsmenü. Anschließend einige Besorgungen, ein Stündchen draußen auf einer Caféterrasse sitzen, in der prallen Sonne, richtige Zeitung lesen. Danach Kino, ein neuer schwedischer Film: „Ein Mann namens Ove“. Eine Geschichte über Krebs, Trauer, Sterben und Tod, aber auch Mut, Zuneigung, Liebe. Viel geweint. Kräftig geschluckt. Etwa bei Sonjas Satz: „Denken wir an den Tod oder wollen wir leben?“
Heute morgen nach Sonja, Oves Frau, gegoogelt, dargestellt von einer schwedischen Schauspielerin namens Ida Engvoll. Wirkt auf ihren offiziellen Fotos nicht halb so charmant, energisch und lebensfroh wie im Film, selbst wenn sie dort gelähmt im Rollstuhl sitzt.

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